
Noch einmal Kind sein…
23. Dezember 2020
Schönen Valentinstag!
31. Dezember 2020Auch eine Weihnachtsgeschichte…
Manchmal kehrt die Erinnerung zurück.
Es gibt Tage, das ist alle so nah, als wäre es erst gestern geschehen.
Und heute – ja heute ist so ein Tag.
Draußen fällt ganz sanft der Schnee.
In meiner Stube breitet sich wohlige Wärme aus, wie sie nur mein Kachelofen zu spenden vermag.
Die Kerzen des Adventskranzes zaubern eine heimelige Stimmung.
Weihnachtszeit.
Meine Gedanken beginnen zu wandern – weit, weit zurück, zu einem anderen Weihnachten.
Ich schließe die Augen… und da sind sie wieder, die Bilder, die Emotionen, die ich nie vergessen habe, die ganzen Jahre nicht. Niemals.
Auch damals war es brechend kalt und es lag so viel Schnee. Und wir waren so herrlich jung. Jung und beschwert.
Unsere Köpfe waren voller Wünsche und Träume. Karriere, Wohlstand, was immer wir darunter verstanden, beherrschten uns. Materielle Güter besaßen eine ungeheure Wichtigkeit.Und wir verloren langsam, ganz langsam, den Blick für das Wesentliche.
Aber das wussten wir damals, an diesem Adventswochenende, natürlich nicht. Wissen – wir ahnten noch nicht einmal, auf welch dünnem Eis wir uns befanden.
Doch für den Zauber des Christkindlmarktes waren wir noch empfänglich. Die Dächer der Buden wie mit einer Puderzuckerschicht überzogen, Düfte nach Mandeln und Glühwein, Kinder mit glänzenden Augen und roten Backen, die gebannt vor jeder Bude stehenblieben und ihre Wünsche kundtaten.
Und da – plötzlich – sah ich ihn!
Klein, dunkelhaarig und auch mit glänzenden Augen. Nur, dass der Glanz seiner Augen eine völlig andere Ursache hatte. Tränen. Und sein Gesichtchen – rot, rissig vor Kälte. Er saß verborgen an der Rückwand der Bude des Waffelbäckers, wohl wegen der Wärme, oder, weil da ein ganz besonders großer Abfalleimer stand?
Mein Blick wandert weiter. Das Kind trägt keine Strümpfe, keinen Mantel. Und das etwas, was um seine dünnen Beinchen schlottert, war irgendwann, in besseren Zeiten, wohl so etwas wie eine Hose.
Es hat 10 Grad unter Null.
Ein Blick, der mehr sagt, als alle Worte es je könnten.
Ein Blick, in dem so viel Schmerz – und vor allem so viel Wissen liegt, sicherlich zu viel für ein so kleines Kind.
„Mein Gott, schaut doch nur!“
Doch keiner schaut. Niemand hört mich. Wollen sie nicht oder können sie nicht?
Wer weiß das schon.
Ich werde weitergezerrt, weitergeschoben. Von meinen Freunden, die anscheinend von dem Ganzen überhaupt nicht mitbekommen haben. Benommen folge ich ihnen.
Später – ich finde keinen Schlaf – stehe ich auf, ziehe mich an, gehe hinaus in die eiskalte Nacht. Irgendetwas steuert mich, führt mich hin zu der Stelle, wo noch vor wenigen Stunden das Kind saß.
Es ist weg.
Nichts deutete darauf hin, dass hier wirklich ein kleiner, halb erfrorener Junge verzweifelt auf das Mitgefühl und die Hilfe seiner Mitmenschen wartete – und einfach übersehen wurde!
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Plötzlich vernehme ich Stimmengewirr, dumpf und fern:
„Machen Sie sich keine Sorgen, sie wird es schaffen. Es ist nur eine Lungenentzündung.
Wir haben sie heute Früh an der Bude des Waffelbäckers gefunden. Ohnmächtig und völlig unterkühlt.“
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Mehr war nicht geschehen. Und doch änderte sich von da an mein ganzes Leben.
Ob es nun wirklich da war, das Kind mit seinen unendlich traurigen Augen, oder ob alles „nur“ Vision war – ich weiß es heute nicht mehr.
Doch in diesem Augenblick zerbrach sie, die Schale, die mein Herz eingekerkert hatte und ließ die ganze angestaute Liebe heraus.
Von da an vollzog sich mit mir eine Wandlung und tiefe Zufriedenheit hielt Einzug.
Die Perlenkette, die damals auf meiner Wunschliste ganz oben stand, verlor plötzlich völlig an Bedeutung, bemessen an dem Lächeln eines Kindes, an dem Glück eines zutiefst hilflosen Menschen.
Danach richtete sich mein ganzes Leben.
Und ich kann wohl sagen, dass es ein wunderschönes, erfülltes war, mein Leben.
Denn ich habe das Schönste erfahren, das es gibt: Ich war in der Lage, die Definition von Glück begreiflich zu machen.
Meine Perlenkette habe ich übrigens immer noch nicht. Obwohl ich sie mir längt leisten könnte. Doch ich rechne jedes Mal den Preis der Kette um in Brot, in Kinderschuhe, Strümpfe und Decken.
O ja, ich hätte mir schon eine ganze Menge Perlenketten kaufen können…
FROHE WEIHNACHTEN!